Ohren wie ein Luchs

Heute morgen bin ich in einem Wagen mitgenommen worden, in dem hinten irgendwo irgendwas geklappert, gerappelt, gesummt hat. Schraube locker, offenbar. Dabei fiel mir wieder eine Episode ein, die mir beeindruckend die Leistungsfähigkeit eines gut ausgebildeten Gehörs aufgezeigt hat:

Vor Jahren wollte meine Musikschule eine CD mit Aufnahmen aller dortigen Ensembles herausgeben. Dazu kam ein Tontechniker samt Ausrüstung in die Musikschule, und alle Chöre und Instrumentalgruppen wurden im Verlauf eines einzigen Tages aufgenommen. Als unser Trompetenquartett irgendwann abends nach sieben drankam, hatte der arme Tontechniker schon den ganzen Tag am Mischpult gesessen und nur Zeit für ein halbes Stück Kuchen zwischendurch gehabt.

Wir bauten also auf, stimmten kurz durch und fingen an.

Nach der zweiten Aufnahme kam der Tontechniker aus seinem Nebenraum, wackelte stirnrunzelnd an diversen Mikro- und Notenständern und verschwand wieder.

Irgendwann kam er wieder rein, bat uns alle, von unseren Stühlen aufzustehen, und begann, den halben Raum nach der Quelle eines Geräusches abzuklopfen, welches ihm bei unseren Aufnahmen aufgefallen war. Er setzte sich auf jeden Stuhl, er klapperte mit unseren Trompeten rum, er rüttelte an der Tür, er lief die Wände ab und suchte Lüftungsleitungen. Schließlich musste jeder seine Hosentaschen leeren, und er untersuchte Schlüsselbunde und Portemonnaies auf deren Klang. Bei einem von uns wurde er fündig: das Lederportemonnaie knarzte leise, wenn man es verbog. Und weil man sich beim Spielen ja immer ein wenig bewegt, fing also sein Mikrofon gelegentlich das zarte Knarzen des Portemonnaies in seiner hinteren Hosentasche auf.

Und das hatte dieser Tontechniker, der sich seit dem frühen Morgen fast ununterbrochen konzentriert hatte, aus dem Krach eines Trompetenquartetts herausgehört.

Aber was ich fast noch beeindruckender fand als dieses Gehör: die Tatsache, dass der Mensch auch nach zwölf Stunden Arbeit noch derart professionell war und die optimale Aufnahme wollte, statt einfach zu sagen: „Komm, vergiss es: das ist ein Trompetenquartett, da merkt das sowieso keiner …“.

Aber solche Leute müssen wohl Perfektionisten sein. Oder sie leiden einfach zu sehr unter hässlichen Tönen. Ob Tontechniker ihre Elektrorasierer reklamieren mit den Worten: „Tut mir leid, aber der summt immer um einen Achtelton daneben“?

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